1. Mitverschulden des Geschädigten
1.1 Allgemeines
Das Mitverschulden ist ein zentraler Begriff im Schadensersatzrecht und beschreibt die Situation, in der ein Geschädigter durch sein eigenes Verhalten zur Entstehung des Schadens beigetragen hat. Dies kann dazu führen, dass der Schadensersatzanspruch gemindert wird. Die Rechtsgrundlage hierfür ist in § 254 BGB verankert.
Es besteht grundsätzlich keine Pflicht zur Schadensvermeidung, jedoch muss sich der Geschädigte unter Umständen anrechnen lassen, dass er nicht die erforderliche Sorgfalt angewandt hat, die ein vernünftiger Mensch in ähnlicher Situation hätte walten lassen. Insbesondere bei Verkehrssicherungspflichten kann ein Mitverschulden geltend gemacht werden, wenn der Geschädigte sich nicht ausreichend auf bekannte Gefahren eingestellt hat.
Beispiel: Ein Fußgänger, der im Winter auf einem vereisten Bürgersteig stürzt, muss höhere Sorgfalt walten lassen als jemand, der im Sommer über ein unerwartetes Hindernis stolpert.
1.2 Voraussetzungen
Gemäß § 254 BGB sind drei Tatbestände für ein Mitverschulden entscheidend:
- Mitwirken bei der Rechtsgutverletzung: Der Geschädigte hat durch sein Verhalten zur Schädigung beigetragen.
- Unterlassen von Warnungen: Der Geschädigte hat nicht gewarnt oder auf eine Gefahr hingewiesen.
- Unterlassen von Schadensabwendung: Der Geschädigte hat es versäumt, den Schaden zu mindern.
Die Beurteilung des Mitverschuldens erfolgt in einem zweistufigen Verfahren:
- Zunächst wird geprüft, inwieweit das Verhalten des Geschädigten das Risiko oder das Ausmaß des Schadens erhöht hat.
- Anschließend erfolgt eine Ermittlung des Grades des Verschuldens.
Wichtig ist, dass nur Umstände berücksichtigt werden dürfen, die nachweislich zur Schädigung geführt haben. Vermutetes Verschulden bleibt unberücksichtigt (BGH 20.03.2012 – VI ZR 3/11).
1.3 Ausschluss des Mitverschuldens
Das Mitverschulden kann ausgeschlossen sein, wenn der Geschädigte eine gesetzliche, sittliche oder berufliche Pflicht erfüllen wollte oder sich in einer extremen Notsituation befand (z.B. Herzinfarkt beim Autofahren). Bei nicht deliktsfähigen Personen, wie Kleinkindern oder Menschen mit geistigen Einschränkungen, kann kein Mitverschulden angerechnet werden.
Für Kinder und Heranwachsende zwischen 7 und 18 Jahren kommt ein Mitverschulden in Betracht, wenn sie sich der Sorgfaltspflichten bewusst sind.
1.4 Mitverschulden bei Verkehrsunfällen
Im Straßenverkehr kann eine Geschwindigkeitsüberschreitung des Geschädigten als Mitverschulden gelten. Bei einem Unfall zwischen Fahrzeugen und Fußgängern kann das Mitverschulden des Fußgängers ebenfalls in Betracht gezogen werden (§ 25 Abs. 3 StVG). Die Bewertung des Verschuldens eines Kindes erfolgt dabei nach altersgemäßen Maßstäben (OLG Karlsruhe 20.06.2012 – 13 U 42/12).
1.4.2 Mitverschulden nach § 9 StVG
Der § 9 StVG erweitert die Haftung des geschädigten Eigentümers im Rahmen der Gefährdungshaftung. Hierbei gilt, dass das Mitverschulden des Geschädigten dem Verschulden des Eigentümers gleichgestellt wird, sofern ein Verschulden des Geschädigten vorliegt.
Das Verschulden des Fahrers, der für die Folgen einer Kollision verantwortlich ist, muss durch die Beweislast des Geschädigten entkräftet werden (KG Berlin 03.12.2007 – 12 U 198/07).
2. Mitverschulden Dritter
Gemäß § 254 Abs. 2 S. 2 BGB muss sich der Geschädigte auch das Mitverschulden seines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen anrechnen lassen, wenn ein vertraglicher Schadensersatzanspruch oder eine Sonderverbindung besteht. Dies gilt jedoch nicht für nicht deliktsfähige Personen.
Die Haftung des Dritten wird in Bezug auf das Mitverschulden des Geschädigten und dessen Aufsichtspflichtigen bewertet, wobei die Kriterien des § 254 BGB zur Anwendung kommen (OLG Karlsruhe 10.08.2007 – 14 U 8/06).
3. Mitverschulden bei Sacheinstandspflicht
Die Betriebsgefahr kann ebenfalls als Mitverschulden gelten, insbesondere wenn eine Person durch ihr Verhalten das Risiko eines Schadens erhöht hat (BGH 27.11.2008 – VII ZR 206/06).