Der Begriff Gefahrtragung beschreibt das Risiko, dass eine Vertragspartei ihre Leistung erbringt oder weiterhin verpflichtet bleibt, während der Anspruch auf die Gegenleistung aufgrund eines unvorhergesehenen Ereignisses entfällt. Grundsätzlich wird zwischen der Leistungsgefahr und der Preisgefahr unterschieden:
- Leistungsgefahr: Betrifft das Risiko des Schuldners, die Leistung zu erbringen oder erneut erbringen zu müssen, falls diese vor dem Erfolgseintritt untergeht.
- Preisgefahr: Betrifft das Risiko des Gläubigers, trotz Zahlungspflicht keinen Anspruch mehr auf die Leistung zu haben, wenn diese nicht erbracht wird.
Die Gefahrtragung regelt im Werkvertragsrecht, welche Partei das Risiko trägt, wenn es zu unvorhergesehenen Ereignissen kommt, die die Leistungserbringung betreffen. Während die Leistungsgefahr primär beim Unternehmer bis zur Abnahme liegt, trägt der Besteller in bestimmten Ausnahmefällen auch vor der Abnahme die Preisgefahr. Besondere Regelungen finden sich zudem im Bauvertragsrecht der VOB/B, das spezifische Situationen und Ereignisse berücksichtigt.
Leistungsgefahr gemäß § 644 BGB
Die Leistungsgefahr liegt grundsätzlich beim Unternehmer bis zur Abnahme des Werkes. Dies bedeutet, dass der Unternehmer das Werk auf eigene Kosten erneut herstellen muss, wenn es vor der Abnahme zerstört oder beschädigt wird.
Ausnahmen von der Leistungsgefahr
In einigen Fällen muss der Unternehmer das Werk nicht erneut herstellen:
- Wenn die Neuherstellung unmöglich ist.
- Wenn die Neuherstellung einen unverhältnismäßig hohen Aufwand erfordern würde.
- Wenn der Besteller mit der Annahme des Werkes in Verzug ist (Übergang der Leistungsgefahr auf den Besteller).
Ein besonderes Beispiel ist der Fall, wenn das Werk durch das Verschulden eines Drittunternehmens beschädigt wird – die Leistungsgefahr bleibt dennoch beim Unternehmer (BGH 08.03.2012 – VII ZR 177/11).
Preisgefahr und ihr Übergang
Die Preisgefahr besagt, dass der Unternehmer seinen Anspruch auf die Vergütung verliert, wenn die Erfüllung des Vertrages unmöglich wird und keine Partei die Unmöglichkeit zu vertreten hat. Sie liegt in der Regel beim Unternehmer bis zur Abnahme des Werkes.
Ausnahmen – Preisgefahr vor Abnahme beim Besteller
In bestimmten Fällen trägt der Besteller bereits vor der Abnahme die Preisgefahr:
- Wenn er mit der Annahme in Verzug ist.
- Wenn das Werk auf seinen Wunsch an einen anderen Ort als den Erfüllungsort versandt wird.
Der Besteller ist außerdem verpflichtet, die bis dahin angefallenen Teilvergütungen zu zahlen, wenn das Werk aufgrund von Mängeln des von ihm gelieferten Materials oder aufgrund von Anweisungen untergegangen oder beschädigt ist. Dies gilt jedoch nur, wenn der Unternehmer kein Mitverschulden trifft.
Sonderregelungen im Bauvertrag gemäß VOB/B
Für den Bauvertrag nach der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/B) gelten spezifische Sonderregeln (§ 7 VOB/B):
- Die Gefahrtragung betrifft Schäden, die an bereits erbrachten Leistungen durch Ereignisse wie höhere Gewalt, Krieg, Aufruhr oder sonstige unvorhersehbare Umstände entstehen.
- Geschützt sind alle baulichen Leistungen, die bereits mit der Substanz des Bauwerks verbunden sind.
Zeitpunkt und Rechtsfolgen
Die Gefahrtragung greift nur, wenn die Beschädigung vor der Abnahme auftritt. Der Auftragnehmer kann in diesem Fall die bereits erbrachten Leistungen nach den vereinbarten Vertragspreisen abrechnen und zusätzlich entstandene Kosten einfordern.